Psychoanalytisch fundierte Körperpsychotherapie – was ist das eigentlich?
Tilmann Moser (geb. 1938) ist Begründer und Pioneer der Psychoanalytisch fundierten Körperpsychotherapie (PfKPT) und Ketzer unter den Psychoanalytikern, weil er es seit Anfang der 80er Jahre wagte, sich damit zu outen, dass er Patienten ganz bewusst und mit theoretischer Beründung berührte. In seiner eigenen Lehranalyse hatte er furchtbar unter der konzeptuell verankerten Abstinenz seines Analytikers gelitten. Sein Buch „Lehrjahre auf der Couch“ (Suhrkamp, 1976) wurde Auftakt seiner intensiven Auseinandersetzung mit und Kritik an der klassischen psychoanalytischen Behandlungstechnik.
Aus guten Gründen, die in den ersten Entstehungsjahrzehnten der Psychoanalyse liegen, hatte Freud zum Schutz seiner PatientInnen ein Berührungsverbot aufgestellt, das bis heute eine relativ magische Grenze in der psychoanalytischen Literatur und Lehre geblieben ist, die sich nur sehr langsam öffnet. Tatsächlich ist trotz oder wegen der großen verbalen Intimität im psychoanalytischen Dialog die zusätzliche körperliche Berührung ein ganz eigener und sehr unbewusster Bereich, der in seinem großen Wirkungspotenzial eigenen Gesetzen gehorcht und sehr unmittelbar Reaktionsbereitschaften, intensive Gefühle und Handlungsimpulse mit sich bringt. Darum ist es besonders wichtig, dass ich als Behandlerin nicht nur eine ausgiebige psychoanalytische, sondern eine ebenso fundierte körperliche Selbsterfahrung mitbringe, die es ermöglicht, mit diesen Vorgängen vertraut zu sein, sie zu erwarten, zu verstehen und zum Wohl der PatientInnen regulieren zu können. So öffnet die Möglichkeit körperlicher Berührung eine Tür zu einem riesigen Raum zusätzlicher Erfahrungs-, Erkennens- und Behandlungsmöglichkeiten, die in einer rein verbalen Arbeit fehlen.
Tilmann Moser, Günter Heisterkamp, Bob Ware, Gisela Worm, Roland Heinzel, Peter Geißler (Herausgeber der Zeitschrift „Psychoanalyse & Körper“) und wenige andere sind oder waren Teil des Forschungskreises von Pionieren, des Steißlinger Kreises, der 1991 gegründet wurde, bis heute existiert und sowohl theoretisch als auch praktisch die konzeptuelle Erweiterung der Psychoanalyse um den Körper verfolgt. 2007 wurde aus diesem Kreis heraus ein Lehrbuch („Psychoanalyse der Lebensbewegungen – zum körperlichen Geschehen in der Psychoanalytischen Therapie“) herausgegeben.
Ich zitiere aus diesem Buch meinen geschätzten Kollegen Bob Ware:
„Die lege artis Erweiterung des analytischen Settings um die Dimension der physischen Berührung bedeutet weder sexuelle Verführung noch unrechtmäßige Triebbefriedigung, sondern die Möglichkeit des unmittelbaren Ansprechens und Behandelns des Körperselbst des Patienten in seiner tiefsten Bedürftigkeit und Verletzlichkeit.“
Ware, R. (in: Geißler & Heisterkamp, 2007, S. 470-471)
Aus dem Steißlinger Kreis entstand auch ein größerer Kreis mit Mitgliedern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, der sich zum Ziel setzt, eine legitimierte Weiterbildung zu entwickeln, die es bislang nicht gibt.